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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 
Wut oder Angst? Gehirn interpretiert auch Blickrichtung  
    Ein wütendes oder angsterfülltes Gesicht ist im Normalfall nicht schwer zu erkennen, unser Gehirn kann die Emotionen in Windeseile einordnen. Dass aber nicht nur die ausgedrückten Gefühle für die Reaktion des Gehirns entscheidend sind, sondern auch die Blickrichtung des Gegenübers, haben nun US-Forscher herausgefunden. Ihr Schluss: Je unklarer die Information ist, die das Gehirn erhält, desto länger stehen wir auf der "emotionalen Leitung".  
 
 
 
Das Zauberwort dabei lautet "Ambivalenz" - Uneindeutigkeit, wie Reize der Außenwelt zu bewerten sind - und kommt etwa bei einem ängstlichen Gesicht mit direktem Blickkontakt vor oder bei einem zornigen Gesicht mit abgewandtem Blick.

Studien zur Reaktion auf Gesichtsausdruck und Blickrichtung brachte den Neuropsychologen Reginald Adams vom Dartmouth College und sein Forscherteam zu dem Schluss, dass deren Kombination die Aktivitätsmuster des Gehirns entscheidend beeinflussen. Ihre Ergebnisse präsentierten sie in der aktuellen Ausgabe von "Science".
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Die Studie ist unter dem Titel "Effects of Gaze on Amygdala Sensitivity to Anger and Fear Faces" in Science (Bd. 300, S. 1536, Ausgabe vom 6. Juni 2003) erschienen.
->   Die Original-Studie (kostenpflichtig)
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Suche nach ambivalenten Reizen
 
 
Der entscheidende Ort für ihre Untersuchung war die Amygdala (Mandelkern), jener Teil des Gehirns, der unter anderem auf potenzielle Gefahren aus der Umwelt reagiert. Seine Sensitivität gegenüber Gesichtern mit ängstlichem Ausdruck sei hinlänglich dokumentiert, schreiben Adams und sein Team.

Vergleichsweise wenig Beweise habe es bisher aber für ein ähnliches Verhalten des Mandelkerns bei Gesichtern voll Ärger oder Wut gegeben. Eine Variante, sich diesen Unterschied zu erklären, war die Annahme, dass die Gehirnregion nicht nur die potenzielle Gefahr, sondern auch ihre Quellen dechiffriert - besonders wenn sie sich als ambivalent erweist.

Um dieser Ambivalenz nachzugehen, kombinierten die Forscher Gesichtsausdruck und Blickrichtung.
Bilder mit verschiedenem Gesichtsausdruck
 
 
Bild: Science/Ursula Hess

Die vier Gesichtstypen des Versuchs von links nach rechts: Wut-abgewandter Blick, Angst-abgewandter Blick, Wut-direkter Blickkontakt, Angst-direkter Blickkontakt.

Bei der Studie wurden den Teilnehmern Bilder mit verschiedenem Gesichtsausdruck gezeigt: angsterfüllt bzw. wütend, jeweils mit direkt auf den Betrachter gerichtetem (künstlich hergestelltem) Blick oder mit abgewandtem. Ihre dabei auftretende Gehirnaktivitäten wurden mit Hilfe funktionaler Magnetresonanztomographie gemessen.
Meiste Aktivität bei "Wut-abgewandter Blick"
Bild: Science
 
 
Das Ergebnis: Die höchste Amygdala-Aktivität ließ sich bei der Kombination "Wut-abgewandter Blick" nachweisen, knapp gefolgt von "Angst-direkter Blickkontakt". Signifikant weniger stark reagierte das Gehirn auf "Angst-abgewandter Blick" und "Wut-direkter Blickkontakt".

Der Grund nach Angaben der Wissenschaftler: Die ersten beiden Kombinationen lassen auf eine unklare Gefahrenquelle schließen - diese Ambivalenz führt zu höheren Reaktionsniveaus des Gehirns.
Böser, direkter Blick fährt eher in die Glieder
 
 
Umgekehrt ausgedrückt: ein "böser Blick" fährt dem Betrachter eher in die Glieder, wenn er direkt auf ihn gerichtet ist. Eindeutig interpretiert wird auch ein ängstlicher, jedoch abgewandter Gesichtsausdruck, denn dieser signalisiere dem Beobachter
die Richtung, aus der eine Gefahr droht.

Derart eindeutige Kombinationen von Mimik und Blickrichtung werden vom Gehirn schneller erkannt, als etwa ängstliche direkte Blicke.
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Amygdala: Analyse des Gefährdungspotentials der Umwelt
Die Amygdala (Mandelkern) liegt an der medialen Spitze des Temporallappens unmittelbar vor dem Hippocampus und ist Kerngebiet des Gehirns. Sie ist eine zentrale Verarbeitungsstation für externe Impulse und deren vegetative Auswirkungen; sie wird als diejenige Hirnstruktur betrachtet, die für die emotionale Einfärbung von Informationen zuständig ist. Tierexperimente zeigte ihre Bedeutung für die Konditionierung von Angstzuständen. Bildgebende Verfahren wie z.B. die funktionale Magnetresonanztomographie haben gezeigt, dass die Amygdala an der Erkennung von Gesichtern beteiligt ist und eine hohe Aktivität aufweist, wenn diese Angst signalisieren. Sie ist also verantwortlich für die Analyse des Gefährdungspotentials der auf das Individuum einwirkenden Reize der Umwelt.
->   Mehr über Amygdala (Charite Berlin)
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Blickrichtung weist auf potenzielle Gefahrenquelle
 
 
Die Blickrichtung ist nach Angaben der Forscher ein entscheidendes Indiz für das Gehirn, um potenzielle Gefahrenquellen zu erkennen. Denn sie zeigt an, ob die Gefahr direkt vom Gegenüber ausgeht oder von einem anderen Element in der Umgebung.

Zusammenfassend schreiben Adams und sein Team, dass ihre Untersuchung zeige, wie wichtig es ist, in künftigen Studien zur Wahrnehmung von Gesichtsausdrücken auch die Blickrichtung einzubeziehen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
 
 
 
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Künstliche Hirnsignale verhindern Angstgefühle (7.11.02)
->   Cannabis-Rezeptor löscht Angst aus (1.8.02)
->   Lächeln steckt nur gesellige Menschen an (20.6.02)
->   Direkter Augenkontakt macht glücklich (11.10.01)

 
 

 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 
  boiorix | 06.06, 16:14
Kombination Wut plus abgewandter Blick nervt ?
Wenn da mal nicht die "Unklarheit der Deutung" den Stress verursacht, sondern archaische Wahnvorstellungen!
Ein einzelner wütender Affe stellt ja eine kalkulierbare Größe dar - aber einer, der sich nach Kampfgefährten umschaut?!
Erinnert irgendwie an Gunther und Siegfried auf Island.
War Brunhild Opfer physiognomischer Fehldeutung? Hat sie seinen Angstblick zur Seite schon als halben Sieg gedeutet und sich keine Mühe mehr gegeben?
 
 
 
  nommo | 06.06, 17:28
@Boiorix - probieren geht über studieren
Tu' den Forschern die Ehre, und mach den Test auf meiner VK. Vielleicht kriegst auch ohne Tomographen Kopfweh.
 
  neanderberger | 06.06, 11:09
Gehirn interpretiert BLICKRICHTUNG
Die Einsicht (bzw. der Artikel) kommt ein paar Tage zu spät. Bei der Klärung der AYS-Frage der vorigen Woche (Blickverfolgung durch Portraits) wären obige Ausführungen hilfreicher gewesen als die Scherzantwort des Kurators.
 
 
 
  sensortimecom | 06.06, 13:26
@neander
Hallo.

Darf ich auch nochmal meinen Senf dazu geben;-))

Das Gehirn interpretiert immer nur ambiente physiklische Zustandsveränderungen.

Im AYS- Fall, oder auch beim o. beschriebenen Fall passiert Folgendes:
Das Gehirn analysiert die zeitlichen Veränderungen der letzten Blickwinkel- oder Blickrichtungen bzw. deren zeitliche Deklinationen, formt daraus synaptisch gespeicherte Zeitsequenz-Muster (Engramme), vergleicht diese mit gespeicherten referenten Engrammen (= für Gut, Böse, Angst, Wut, Schmerz, Lächeln und Gott-weiß-was-noch) und definiert das dazu passende Muster als "erkanntes Muster".

Um das optimal zu schaffen, benötigt das Gehirn ímmer wieder vorhergehende Lernprozesse, und lernt aus Irrtümern und Erfolgen.

Beim AYS-Fall von voriger Woche gibts keine Zeitmuster abzuleiten, da sich das Bild nicht "bewegt"; daher gibts auch weder Analyse- noch Lern- noch Autoadaptions-Prozesse. Das Gehirn sucht nach dem "kleinsten gemeinsamen -und am häufigsten vorkommenden - Nenner" und der besteht aus einem Gesicht, das "einem anschaut"; ganz einfach deshalb, weil das der NORMALFALL ist, wenn du einem Menschen ins Gesicht blickst...

So einfach ist das zu erklären;-))

mfg Erich B. www.sensortime.com
www.sensortime.com/brain-de.html
 
  sensortimecom | 06.06, 13:43
Zusatz
Natürlich leiten die visuellen Rezeptoren der Augen auch zwecks Erkennung eines (unbewegten) "Standbildes" elapse-time-Muster ab.
siehe dazu u.a.:
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/lis/13070/1.html
(Wie rechnet die Netzhaut)

Aber es macht für die synaptische Speicherung und Analyse einen GRAVIERENDEN Unterschied, ob sich die visuellen Rezeptoren bewegen um ein Bild zu erkennen, oder ob sich das zu erkennende Bild bewegt, oder ob BEIDES.
In letzterem Fall werden synaptisch gespeicherte Informationen in den Analyseprozess einbezogen, die NUR für dynamische Bildbewegungen relevant sind; im ersteren Fall NICHT.

mfg E.
 
  sensortimecom | 06.06, 14:48
Zusatz 2
Bei Betrachtung eines 2-dimensionalen stationären Bildes sind die Rezeptoren zumindest eines Auges AKTIV in Bewegung und "scannen" quasi das Bild.
Dasselbe bei 3-dimensionaler räumlicher Struktur bzw. Figur, wo die Rezeptoren beider Augen AKTIV bewegt sind, um genügend Verstreichzeit-Muster abzuleiten, die für die Erkennung (Vergleich mit referenten Mustern) ausreichen.

Anders bei Betrachtung eines dynamisch bewegten Bildes (Filmes) oder eines 4-dimensionalen (räumlich/zeitlich) dynamischen Ereignisses:
Hier leiten die Rezeptoren sowohl in AKTIVER Bewegung als auch PASSIV(!) Verstreichzeitmuster ab !!

Die Menge involvierter Synapsen und referenter Engramme erhöht sich hier also enorm !

mfg E.
 
 
  neanderberger | 06.06, 14:50
@sensortimecom | 06.06, 13:43 : Standbild <- > sich bewegender Beobachter
Da sind sicher schon kluge Beobachtungen gemacht worden und weiterhin nötig.
Von einer nüchternen (quasi geometrischen) Abschätzung der Blickrichtung bis zu hochgradig psychologischen Folgerungen ist sicher ein weites Feld.
Immernoch ungeklärt finde ich, warum Menschen überhaupt die Augen "weiten". Auf einem Gemälde (Goya?) sah ich mal ein Pferd mit ähnlich "aufgerissenen" Augen - aber in der Realität? Bei Affen habe ich noch nicht vergleichbares gesehen.
Das in Gruppen lebende Wesen sowohl bei Angriffs-(Wut) wie Fluchtabsichten (Angst) nach "Mittätern umschauen" ist wiederum leicht verständlich.
Soviel erstmal unbefangen und quasi aus "Golillasicht", jetzt werde ich mir

http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/lis/13070/1.html zu Gemüte führen.
Danke derweil.
 
 
  neanderberger | 06.06, 15:01
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/lis/13070/1.html ...
...hatte ich offenbar früher schon gelesen und mir vorgenommen herauszufinden, ob das dort beschriebene Phänomen nicht auch für die separate Erfassung (stückweise wie der Schreibvorgang!) von (Druck)Buchstaben-Teilen verantwortlich ist.
Naja, das gehört hier nur her, weil auch wieder messbare Chemie im Spiel ist wie in obigem Artikel.
 
  sensortimecom | 06.06, 15:47
@neanderberger
schreibt:
.. Immer noch ungeklärt finde ich, warum Menschen überhaupt die Augen "weiten".

Wofür es für Verhaltensweisen des Phänotyps keine mathematisch/logisch nachvollziehbare Erklärung aus Lern- und Autoadaptionsprozessen gibt, ist zumeist genetisch vorprogrammiert, d.h. es sind also Verhaltensmuster die innerhalb einer Spezies weitervererbt werden.

Frage an die Evolutionsbiologen weiterreichen. Die haben angeblich so viele Antworten drauf...

mfg E.
 
  boiorix | 06.06, 16:33
@sensortimecom | 06.06, 15:47 : Ob Evolution oder nicht...
...alleine die Fragen zu entdecken heischt schon manchmal Respekt.
Welcher "normale" Mensch denkt beim Anblick einer Ente (Gans?), die mangels realem Ei ein imaginäres Ei rollt, schon etwas anderes als : "dummer Vogel"?
Ist jetzt unsere Amygdala überführt, auch nicht viel klüger zu sein?
Na ob klug oder nicht, Mr.Bean wäre ohne dieses Erbe reizlos.
 
 
  dieausserirdische | 09.06, 07:41
*g*
http://www.windows.ucar.edu/tour/link=/life/images/shortearowl_jpg_image.html
 
  neanderberger | 09.06, 09:46
@dieausserirdische | 09.06, 07:41 : "äffte" der Mensch die Eule nach?
Einen eigentlich nur starren Blick, wie den der Eule für den Inbegriff wacher Intelligenz zu halten, das muss wohl schon unseren frühen Vorfahren eigen gewesen sein.
Bei den Maoris sehen weit aufgerissene Augen ja auch alles andere als ängstlich aus.
Fragt sich nur, wieviel die Eule von ihrer Wirkung weiß. "Intelligent Design"? Die Eulinnen werden es wissen.
 
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