Email
News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 
Die besten Experten sind oft nicht die besten Ratgeber
von Gunther Tichy
 
  Gerade die besten Experten tendieren dazu, die Chancen von Entwicklungen, an denen sie selbst beteiligt sind, erheblich zu übertreiben. Weniger spezialisierte und involvierte Experten schätzen künftige Entwicklungen realistischer ein.  
Top-Experten als beste Ratgeber?
Wer könnte besser über die künftige Entwicklung eines Fachgebiets Auskunft geben als Experten, die an der vordersten Front dieses Gebiets arbeiten: Nanotechniker über die Chancen der Nanotechnologie, Informationsfachleute über den künftigen Personalbedarf ihrer Branche, Telekommunikationsspezialisten über die Marktchancen von UMTS? Eine Untersuchung des Instituts für TechnikfolgenAbschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zeigt, dass das im Allgemeinen nicht der Fall ist.
...
Überoptimistische Experten im österreichischen Technologie-Delphi
Im österreichischen Technologie-Delphi wurden Experten über den Innovationsgehalt, die Wichtigkeit, die Erwünschtheit und die Realisierbarkeit bestimmter Innovationen gefragt. Außerdem wurde erhoben, wie die Chancen Österreichs eingeschätzt wurden, mit diesen Innovationen Marktführerschaft in technologischer, wirtschaftlicher oder organisatorischer Hinsicht zu erlangen. Zugleich wurden die Experten gebeten, ihre Kenntnis des jeweiligen Gebietes entsprechend der Schulnoten-Skala zu bewerten. Dabei zeigte sich, dass diejenigen, die ihre spezifische Expertise am höchsten einschätzten, auch die optimistischsten Antworten gaben.
->   Mehr zum Technologie-Delphi
...
Insbesondere kurzfristige Innovationen überschätzt
Vor allem die Realisierbarkeit, der Innovationsgrad und die Wichtigkeit der jeweiligen Zukunftsinnovation wurde von den Top-Experten (FachkenntnisNote 1) sehr viel höher eingeschätzt als von denen die sich selbst die Note 2 oder 3 gaben; merklich geringer - aber dennoch nicht unerheblich - ist der Top-Experten-Optimismus bezüglich der Chancen einer potentiellen Dominanz Österreichs bei der technologischen, wirtschaftlichen, vor allem aber organisatorischen Umsetzung dieser Innovationen. Insbesondere wenig anspruchsvolle, kurzfristige Innovationen werden von den Top-Experten überschätzt. Ihr Optimismus ist bei organisatorischen Innovationen noch erheblich größer ist als bei rein technischen.
Besonders optimistische Industrie-Fachleute
Vor allem überrascht, dass die Optimismus-Voreingenommenheit der Top-Experten aus der Industrie am größten ist, hätte man doch gerade bei ihnen den meisten Realismus erwartet. Auf allen Fachgebieten und in allen Teilfragen sind die Industrie-Top-Experten aber optimistischer als die (normalen) Industrie-Experten, und auf fast allen Fachgebieten auch optimistischer als die Top-Experten aus dem akademischen Bereich oder aus der Administration; bloß in der Medizin sind die Hochschul-Wissenschafter noch optimistischer.
Drei Fragen
Die überoptimistische Einschätzung der Industrieexperten mag damit zusammenhängen, dass sie sich mit der jeweiligen Innovation nicht beschäftigen würden, sähen sie diese nicht als besonders erfolgsträchtig an. Dennoch wirft der generelle Überoptimismus der Top-Experten drei Fragen auf:
* Handelt sich es dabei um ein typisch österreichisches Phänomen?
* Handelt es sich wirklich um "Überoptimismus" der Top-Experten oder vielleicht um den "typisch österreichischen" Pessimismus der anderen?
* Warum überschätzen gerade die besten Fachleute die Entwicklungsmöglichkeiten auf ihrem Gebiet?
Experten-Überoptimismus auch in Deutschland
Die ersten beiden Fragen lassen sich an Hand des deutschen Technologie-Delphi beantworten, bei dem ähnliche Fragen an deutsche Experten gestellt wurden, hier allerdings vor allem nach dem Zeithorizont, innerhalb dessen die jeweilige Innovationen realisiert werden würde. Auch in diesem Fall zeigte sich, dass die Top-Experten den Realisierungszeitraum zumeist erheblich kürzer einschätzten als die übrigen Experten, und zwar wiederum vor allem bei kurz- und mittelfristigen Innovationen. Experten-Optimismus ist somit kein österreichisches Spezifikum.
...
Optimisten lagen öfter falsch
Da die deutsche Befragung schon ein Jahrzehnt zurückliegt, ermöglicht sie auch eine Antwort auf die zweite Frage. Die Innovationen, die nach Ansicht der Top-Experten innerhalb eines Jahrzehnts kommen sollten, müssten ja inzwischen realisiert sein. Das deutsche Technologie-Delphi zeigt, dass die optimistischen Top-Experten in rund 20 % der Fälle recht behielten: Entgegen der Meinung der anderen wurden die jeweiligen Innovationen tatsächlich rasch realisiert; bei einem Drittel hingegen lagen sie eindeutig falsch. Bei den verbleibenden Innovationen (45 %) ist die Antwort unklar, weil die Innovation anders als erwartet oder bloß teilweise realisiert wurde, oder die Frage nicht genügend klar gestellt wurde.
...
Warum sind gerade die besten Experten überoptimistisch?
Wenn der Optimismus der Top-Experten daher bloß zum kleineren Teil aus besserer Einschätzung resultiert; wie ist er dann zu erklären? Überwiegend wohl aus der Insider-Stellung der Top-Experten und ihrer Voreingenommenheit gegenüber dem eigenen Fachgebiet. Die Psychologie kennt dieses Phänomen unter dem Titel "Zugehörigkeits-Voreingenommenheit".
...
Zugehörigkeits-Voreingenommenheit
Die Menschen, die sich mit einem Gebiet intensiv beschäftigen - also gerade die Top-Experten - sind von ihrem Gebiet fasziniert, sie halten es für wichtiger und aussichtsreicher als die Gebiete mit denen sie sich nicht beschäftigen. Auch unterschätzen Akteure generell die Schwierigkeiten und Risken, von denen sie glauben sie selbst beeinflussen zu können. Schließlich versuchen sie, die Komplexität der realen Welt durch Konzentration auf das eigene Gebiet zu reduzieren; unvermeidlich werden dabei die Beiträge Dritter unterdrückt., die zur Umsetzung und der Diffusion der jeweiligen Innovation erforderlich sind. Im österreichischen Beispiel zeigt sich das etwa in der besonders großen Optimismus-Voreingenommenheit bei organisatorischen Innovationen, die zwangsläufig nicht von Einzelnen umgesetzt werden können.
...
Generalisten sind mindestens genau so wichtig wie Spezialisten
Die Ergebnisse der Studie über die Optimismus-Voreingenommenheit der Top-Experten sind für die Methodik von sogenannten Foresight-Studien zur Abschätzung (nicht Voraussage!) möglicher technischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen und für die Planung der Technologiepolitik von erheblicher Bedeutung. Zeigen sie doch, dass die Konzentration auf die Einschätzung von Spitzenexperten infolge ihrer Zugehörigkeits-Voreingenommenheit zu falschen Entscheidungen führen kann. Die weniger spezialisierten Experten haben vielfach einen offeneren und eher realistischen Blick für die Zukunftschancen eines Gebiets.
Technologiepolitik braucht richtige Mischung
Die geeignete Mischung von Experten verschiedenen Spezialisierungsgrads, verschiedener Spezialisierungsrichtung und unterschiedlicher Provenienz ist daher nicht nur für die Qualität derartiger Studien, sondern für die Technologiepolitik allgemein von entscheidender Bedeutung.
->   Over-optimism Among Experts in Assessment and Foresight
->   Näheres zum österreichischen Technologie-Delphi
 
 
 
ORF ON Science :  Helge Torgersen :  Gesellschaft .  Technologie 
 
  winne2 | 02.10, 18:38
Im Dreieck "Mensch - Markt - Technik"
sollten sich derartige Prognosen im Allgemeinen abspielen. Wenn nicht alle Faktoren berücksichtigt werden, kann es allerdings zu einem Bermudadreieck werden. Insbesondere Technologen neigen dazu, die beiden anderen Punkte gering zu schätzen. Je tiefer einer in einer Materie steckt, umso weniger sieht er, was sonst noch um ihn herum vorgeht. Sachkundigkeit und Erfahrung im Umgang mit Märkten ist da meist sogar wichtiger als technisches "know how".
 
 
  124u | 03.10, 01:43
das richtige Gespür für die Verhältnismäßigkeit bei aller Spezialisierung auf einem Gebiet wäre wichtig, es ist aber meistens so daß das verkümmert oder fehlt. Ist fast überall so.
  allgeier | 03.10, 09:01
Das Dreieck ist zu eng, das ist eben der Fehler.
"Markt" und "Technik" sind die Götter des "Mensch". An die hat man zu glauben, sonst gilt man im System als,
na, irgendwie anders, teils mit Misstrauen belegt und teils bewundert, jedenfalls gelten "Experten" als die Hüter des derzeit herrschenden Kultes.
  sensortimecom | 02.10, 18:27
Foresight-Studien / Technologiefolgen-Abschätzung
Warum haben diese gutbezahlten Leute den Crash in der NewEconomy-Börse und seine Hintergründe nicht vorhersehen können?

Warum musste ein krasser Outsider wie ich (und ein, zwei andere) bereits vor 5 Jahren auf die Gefahren aufmerksam machen, die aus Sättigung und Überpatentierung in bestimmten Technologien lauern? Warum konnten das die Experten nicht genausogut wissen?

Warum haben die Leute noch kein Rezept für eine Neugestaltung der IPR-Wesens ausgearbeitet? Schließlich verlangt man einen erklecklichen IQ von jenen Mitarbeitern, oder etwa nicht?

Hoffend, dass die besagten Experten zum Höhepunkt der Hype auch ausreichend Aktien gekauft haben;-)
mfg
Erich B.

www.sensortime.com
 
 
  mantispa | 02.10, 12:21
lächerlich
warum sollte ein nanotechnikforscher sagen (nicht "zugeben"!), dass aus der nanotechnik nichz wird? er muss doch dran glauben - sonst könnte er nicht dran forschen. Dümmer ist, dass politiger immer lieber optimisten um sich sehen (aber. kein vorwurf!) und dass man sich nicht klar macht, was optimismus und pessimismus überhaupt bedeuten. ein pessimist gilt zB gleich als miesmacher.
 
 
  blitzky | 27.08, 23:17
Da ich dem Rechnungshof mehr vertraue als dem ORF....
gehe ich davon aus, dass eine Bündelung der österreichischen Forschungsförderung ein brennheißes Anliegen ist. Nach der Meinung des Rechnungshofes wäre hier "locker 1 Milliarde Euro einzusparen". Dass die Gegnerschaft gegen Reichholds Pläne gewaltig ist, darf angesichts dieser Summe nicht verwundern. Von diesen unzähligen Zweigleisigkeiten haben offenkundig nicht wenige bisher wie die Maden im Speck gelebt. Es ist für mich verwunderlich, dass in diesem ORF-Beitrag der Rechnungshof-Bericht nur in einer Fußnote erwähnt wird, die mauernden STellungnahmen diverser Politiker und Profiteure des bisherigen Systems aber ausführlichst wiedergegeben werden. Wo bleibt hier eine ausgewogene Berichterstattung?
 
 
 
  Die ORF.at-Foren sind allgemein zugängliche, offene und demokratische Diskursplattformen. Bitte bleiben Sie sachlich und bemühen Sie sich um eine faire und freundliche Diskussionsatmosphäre. Die Redaktion übernimmt keinerlei Verantwortung für den Inhalt der Beiträge, behält sich aber das Recht vor, krass unsachliche, rechtswidrige oder moralisch bedenkliche Beiträge sowie Beiträge, die dem Ansehen des Mediums schaden, zu löschen und nötigenfalls User aus der Debatte auszuschließen.

Sie als Verfasser haften für sämtliche von Ihnen veröffentlichte Beiträge selbst und können dafür auch gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden. Beachten Sie daher bitte, dass auch die freie Meinungsäußerung im Internet den Schranken des geltenden Rechts, insbesondere des Strafgesetzbuches (Üble Nachrede, Ehrenbeleidigung etc.) und des Verbotsgesetzes, unterliegt. Die Redaktion behält sich vor, strafrechtlich relevante Tatbestände gegebenenfalls den zuständigen Behörden zur Kenntnis zu bringen.

Die Registrierungsbedingungen sind zu akzeptieren und einzuhalten, ebenso Chatiquette und Netiquette!
 


 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick