Email
News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 
IT-Forschung in Österreich: Vergeudete Talente  
  In Österreichs IT-Szene hapert es an der Grundlagenforschung. Die angewandte Forschung zieht alle Talente und Gelder an sich. Wegweisende Innovationen bleiben daher Mangelware, resümieren österreichische Experten.  
"In der österreichischen Informationstechnologie gibt es zu wenige Forschertalente an den Universitäten, die in der Lage sind, ihr Gebiet neu zu definieren", so der Salzburger Informatikprofessor Wolfgang Pree.

Sprich: Es fehlt an IT-Experten, die Grundlagenforschung betreiben, also mit Erfindungsgeist und Kreativität radikal neue Technologien entwickeln. Es würden lediglich existierende Konzepte und Methoden verbessert.
TTP - Das "einzige Erfolgsbeispiel"
Radikal neue Technologien? Ein Beispiel hat der international anerkannte Softwareexperte gleich parat: Das Time Triggered Protocol (TTP), das heute im Automobil- und Flugzeugbau Verwendung findet und elektronische Systeme in bestimmte Zeitfenster dirigiert, um ein Durcheinander und damit einen Crash des Verkehrsmittels zu verhindern. Zuletzt wurde das TTP unter anderem im Kabinendrucksystem des neuen Airbus 380 eingebaut.

Das TTP wird bei Bestandsaufnahmen der heimischen IKT-Forschungsszene gern als Erfolgsbeispiel genannt - für Pree das einzige, an das er sich erinnern kann.

Entwickelt wurde es in den Neunzigerjahren an der TU Wien von Hermann Kopetz und seinem Team. Der Informatikprofessor gründete 1998 ein Unternehmen namens TTTech, um die Technologie auch vermarkten zu können. Seine Firma war zuletzt beständig in der Liste der 500 am schnellsten wachsenden europäischen Unternehmen.
->   Time Triggered Protocol bei Wikipedia
Einsame Leuchten ...
Fragt man nach weiteren Protagonisten relevanter österreichischer IKT-Forschung (Informations- und Kommunikationstechnologien), wird wieder die TU Wien genannt. Dort wird an der Verbesserung der dritten Mobilfunkgeneration UMTS gearbeitet, die von der vierten Mobilfunkgeneration OFDM abgelöst werden soll, die ein Vielfaches der Bandbreite von UMTS haben wird.

Gottfried Magerl, Leiter des Instituts für Elektrische Mess- und Schaltungstechnik, koordiniert dieses internationale, von der EU geförderte Netzwerkprojekt namens Target (Top Amplifier Groups in a European Team). Er gilt wie Kopetz in seinem Gebiet als Ausnahmeerscheinung der heimischen Szene.
... in der Grundlagenforschung
Noch ein dritter TU-Professor, diesmal aus Graz, wird von internationalen Experten genannt, wenn man nach heimischen IT-Leuchten fragt. Reinhard Posch, Leiter des Instituts für Angewandte Informationsverarbeitung und wissenschaftlicher Kopf der österreichischen E-Government-Initiative, erarbeitet Verschlüsselungssysteme.

Dann gibt es noch den mittlerweile nach Oxford berufenen Wissenschaftler Georg Gottlob, Wittgenstein-Preisträger, früher ebenfalls TU Wien, der im Bereich der semantischen Systeme forscht, die genauer als jede Google-Suchmaschine aus großen Datenmengen bestimmte Informationen filtern.

Damit seien aber auch alle "großen IKT-Forschertalente in Österreich" genannt, so Kenner der Szene - zumindest was die Grundlagenforschung an den Universitäten betrifft.
Sorgen um den Nachwuchs
Und diese rare Spezies zieht auch nur wenige qualifizierte Nachwuchswissenschaftler heran, sagt Erich Prem, Chef der IT-Strategieberatungs- und Förderagentur eutema. Manch ein Professor müsse sogar nach Rumänien gehen, um Nachwuchs zu akquirieren, weil hierzulande wesentlich mehr Studenten Geschichte oder Medienwissenschaften studieren als Informatik.

Mitschuld am Personalproblem dürften die fehlenden Perspektiven für junge Mitarbeiter an Unis sein. Man habe es an vielen Hochschulen verabsäumt, Strukturen für grundlagenorientiert arbeitende Forschergruppen aufzubauen, sagt Posch, der seine Grazer Arbeitssituation explizit ausnimmt. Er spricht von "Startfinanzierung", das heißt: "Kein Druck, ein für die Industrie verwertbares Ergebnis erzielen zu müssen."

Da es das aber in den seltensten Fällen gibt, arbeite man in der heimischen IKT-Grundlagenforschung zwangsläufig projektorientiert, vor allem seit die ersten großen EU-Fördertöpfe bereitstehen.
Fehlende Strukturen
Um eine schlagkräftige Forschergruppe brauche es fünf bis zehn Jahre, sagen Experten. Meist ist es aufgrund der schwierigen Rahmenbedingungen allein dem Engagement des Gruppenleiters zu verdanken, wenn es gelingt.

"Wenn dieser an eine andere Universität berufen wird, wird gleich der gesamte Forschungsschwerpunkt infrage gestellt", analysiert Prem. Auch ein Zeichen dafür, dass es an Strukturen fehlt, die IKT-Grundlagenarbeit voranzutreiben.
Erfolgreich angewandt
Im Umfeld der angewandten, industrienahen Forschung bringt man in Österreich auch international anerkannte Entwicklungen zustande: Tourismus-Buchungssysteme zum Beispiel, wie sie vom Wiener E-Commerce Competence Center (EC3) kommen, oder die Arbeit in den Labors von Philips am RFID-Chips (Radio Frequency Identification), der zur automatischen und berührungslosen Identifikation und Lokalisation von Gütern dient.

Eine neues Förderprogramm zwingt die Kompetenzzentren mehr noch als bisher, sich der Anwendung, also der Auftragsforschung, zu widmen, um auf eigenen Füßen zu stehen - zum Teil machen sie das auch schon mit eigenen Verwertungsgesellschaften.
"Kuchen muss besser verteilt werden"
Am Geld könne es nicht liegen, glaubt Posch. Es komme auf eine bessere Verteilung des Kuchens an. Finanzielle Unterstützung komme derzeit von EU-Projekten (im kommenden siebten EU-Rahmenprogramm sollen insgesamt 9,1 Millionen Euro für IKT ausgeschöpft werden) oder von Firmenkooperationen.

Wenn man aber mit einem börsenabhängigen Unternehmen kooperiere, könne man nur Verträge mit einer Laufzeit von maximal zwei bis drei Jahren erwarten, so Posch. "Wie soll man da hochqualifizierte Forscher an ein Institut binden?"

Softwareexperte Pree kritisiert hingegen die geringe Gründertätigkeit an den Universitäten. Um aber Patente in Unternehmen zu verwerten, wird dann vonseiten der Universität eingewandt, muss man diesen das "intellektuelle Eigentum" überlassen. Wer macht das schon gerne? Kritiker wiederum monieren den fehlenden Mut, mit guten Ideen in den Markt zu gehen. Förder- und Beratungsinstrumente gebe es ja.
Die Talentschlucker
Dass es an den Unis meist nur schlecht bezahlte Stellen gebe, verschärft für Prem das Problem. Der Weg ins Ausland oder in die anwendungsorientierte Forschung der heimischen Kompetenzzentren oder in den Österreich-Zweigstellen der Elektronik-Weltkonzerne Infineon, Philips oder Siemens sei daher vorgezeichnet. Alle drei Konzerne werben Uniabsolventen und Institutsmitarbeiter auf der Suche nach den besten Talenten ab.

Wer glaubt, dort langfristige Projekte umsetzen zu können, wird von hochfliegenden Forscherträumen aber schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Hier geht es um das Alltagsgeschäft, um rasche Ergebnisse.

Peter Illetschko, heureka!, 13.12.06
...
Die ungekürzte Version dieses Artikels erscheint in der Zeitschrift "heureka!", der Wissenschaftsbeilage der Stadtzeitung "Falter". Thema der aktuellen Ausgabe: "E-Science - Wie Computer und Internet die Wissenschaft revolutionieren".
->   heureka!
...
->   Wolfgang Pree - Software Research Lab
->   Erich Prem - Eutema
->   Reinhard Posch - Graz
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Höherer Frauenanteil verändert EDV-Kultur (26.5.06)
->   Indien: Wissensmacht des 21. Jahrhunderts? (16.3.05)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Technologie 
 
  edisoncarter | 17.12, 11:36
Inhalte...
Solange bei uns die IT-orientierten Studienrichtungen über den verstecken Numerus-Clausus der sinnlosen Mathematik-schwerpunkte verunreinigt werden, wird sich das auch nicht ändern.

Es wäre jetzt billig, auf die Schulschwächen von Einstein und Co. zu verweisen, aber ich denke schon, dass dieser extreme Mathe-Schwerpunkt unangebracht ist. Um aus den ausgetretenen Denk-Trampelpfaden auszubrechen, MUSS man sogar einiges nicht wissen, um sich nicht gleich bei ersten Anflug einer neuen Idee selbst mittels vorauseilender Logik zu zensurieren. Diesen Fall von "zu viel Wissen blockiert" kann man ja auch in anderen Bereichen sehen, besonders dort wo Kreativität gefragt ist. Und Froschung ist nun mal die Kreativität "Neues oder Neue Antorten auf Bekanntes zu finden"

Wieviele fertige Informatiker brauchen für ihren Job wirklich das Lösen von nichtlinearen UngleichungsSystemen?? wohl eher keiner. Alle die ich kenne, sind Programmierer, Projektmanager (wurde zu meiner Zeit nicht gelehrt), Kundenbetreuer, Vertriebsmitarbeiter oder ähnliches. DAFÜR diese viele Mathe???? also Bitte: weg mit der antiken, alte-Männer-Tradition dass "EDV" aus der Mathematik entstanden ist. Her mit der Erkenntnis, dass sich da was ganz Eigenes entwickelt hat, und Offenheit bei den angrenzenden Wissenschaft für "Zusammenarbeit-on-demand".
 
 
  thesage | 31.01, 16:44
Stimmt...und auch wieder nicht
Hier muss man zwischen Informatikern und Informatik-Forschern unterscheiden. Erstere brauchen wohl auch gewissen mathematische Grundkenntnisse - vor allem, wenn sie gute Arbeit leisten wollen. Aber die, die's wirklich brauchen sind die IKT-Forscher. Da muss man schon eine Menge Algebra und Analysis hineinpumpen, damit hinten was Gscheites rauskommt. Aber natürlich braucht nicht JEDER die gesamte Mathematik, so wenig wie JEDER Mediziner Sozialmedizin braucht.
  sensortimecom | 15.12, 15:07
Alles Blödsinn
"Es fehlt an IT-Experten, die Grundlagenforschung betreiben.."

warum wohl?

Weil im IT-Sektor Sättigung herrscht, bis zum Überdruss. Das gesamte mögliche Forschungsspektrum ist bereits mit Patenten zugepflastert bis zum Geht-nicht-mehr...

Übrigens: Hermann Kopetz`s TTP ist eine der wichtigsten Erfindungen der letzten 25 Jahre. Wurde aus öffentlichen Mitteln unterstützt.
Hat über 200 Patente.
Hier Ursprungspatent, worauf TTP basiert:
http://www.delphion.com/details?pn=DE03522224A1

Die übrigen wichtigen IT-Erfindungen hier wurden verschlampt und zugeblödet durch unsere - ach so großartige -Forschungsförderung und Erfinderunterstützung...
 
 
  thesage | 31.01, 16:47
Was für eine Sättigung?
Was für eine Sättigung soll da herrschen: die Technologieroadmaps sind zwar für 20 Jahre vorgezeichnet, aber irgendwer wird halt auch die Forschungsarbeit leisten müssen. Und: die Anforderungen steigen weiter - wer will nicht immer mehr Dienste mit seinem Handy in Anspruch nehmen bei immer geringerem Energieverbrauch und immer höherer Interoperabilität, um nur ein Beispiel zu nennen. Die Industrie sucht verzweifelt nach IKT-Experten mit hoher Qualifikation und findet sie in Österreich nicht mehr. Und Kopetz...ist wohl auch anderer Meinung über Forschungsförderung :)
  gromit65 | 13.12, 16:52
Das ist erst der Anfang...
...wartet 1x ab, bis die Privatuniversitäten so richtig in die Gänge kommen: Da haben dann Siemens & Co das Sagen und werden daher ihr Geld lieber da hinein stecken, für die Unis fällt dann bald auch diese Geldquelle weg. Das die Unternehmen an Grundlagenforschung nicht wirklich interessiert sind, ist in dem Artikel ja auch schon angesprochen worden. Die jungen Forscher sind da dann eher Mitarbeiter zum Studententarif. Aber staatlich geführte, demokratisch kontrollierte Einrichtungen sind sind ja nicht hipp, da müssten Politiker und tatsächlich wirtschaftliche Verantwortung auch noch übernehmen für ihren Hungerlohn. ;-)
 
 
  xx1xx | 13.12, 14:49
Österreich muss aus der ESA austreten
Nicht wegen der ESA sondern wegen eines Finazierungsprinzips, das Schule gemacht hat. Weil Steuergelder nicht direkt an die Forscher bezahlt werden können (warum eigentlich?), wählt man den Geldumweg über die ESA. Das wäre an sich noch kein Nachteil, würden dadurch nicht auch die Kontroll Mechanismen versagen und natürlich denoch politische Interessen importiert werden, vor denen man bei direkter Förderung ursprünglich geflüchtet war. Was bleibt ist ein fataler Ruf der österreichischen Forschung, als Forschungsergebnis gilt bei der ESA z.B. schon, dass ein Computer mit 2 TB Speicherkapazität angeschafft wurde oder der Zugang zu "exklusiven" Daten ohne wissenschaftliche Verwertung. Auch ist der gesellschaftliche Nutzen einer solchen Forschung (welche aus millitärischen Gründen niemals in Österreich stattfinden kann, Österreich ist neutral) in Zeiten wie diesen höchst umstritten. Jedenfalls git es gut finanzierte Urlaubsreisen.

Die IT-Branche braucht einen solchen Umweg nicht und das ist auch gut so. Hier kann auch nichts bvorgetäuscht werden. Was bleibt ist die nüchterne Erkenntnis: Wir sind schlecht.

 
 
  tauceti | 13.12, 23:49
Du schreibst, es gäbe in Österreich keine Forschung für die ESA?

Du bist schlecht informiert.
  hosenbeisser | 13.12, 11:10
Angeblich soll Flexray
aber technisch viel besser als dieses TTP sein.

http://de.wikipedia.org/wiki/Flexray


 
 
 
  Die ORF.at-Foren sind allgemein zugängliche, offene und demokratische Diskursplattformen. Bitte bleiben Sie sachlich und bemühen Sie sich um eine faire und freundliche Diskussionsatmosphäre. Die Redaktion übernimmt keinerlei Verantwortung für den Inhalt der Beiträge, behält sich aber das Recht vor, krass unsachliche, rechtswidrige oder moralisch bedenkliche Beiträge sowie Beiträge, die dem Ansehen des Mediums schaden, zu löschen und nötigenfalls User aus der Debatte auszuschließen.

Sie als Verfasser haften für sämtliche von Ihnen veröffentlichte Beiträge selbst und können dafür auch gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden. Beachten Sie daher bitte, dass auch die freie Meinungsäußerung im Internet den Schranken des geltenden Rechts, insbesondere des Strafgesetzbuches (Üble Nachrede, Ehrenbeleidigung etc.) und des Verbotsgesetzes, unterliegt. Die Redaktion behält sich vor, strafrechtlich relevante Tatbestände gegebenenfalls den zuständigen Behörden zur Kenntnis zu bringen.

Die Registrierungsbedingungen sind zu akzeptieren und einzuhalten, ebenso Chatiquette und Netiquette!
 


 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick