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Die Muttersprache gibt den Takt vor  
  Musik und Sprache sind eng miteinander verbunden. Für ihre Wahrnehmung sind im Wesentlichen die gleichen Gehirnregionen verantwortlich. Ein US-japanisches Forscherteam erkannte nun, dass der Rhythmus der Muttersprache unsere akustische Wahrnehmung beeinflusst: Nach ihm richtet sich, wie wir Musik oder andere akustische Tonfolgen erfassen.  
Damit brachten John R. Iversen vom Neuroscience Institute in San Diego und seine zwei Kollegen auch ein "Universalgesetz" der Wahrnehmungspsychologie zu Fall. Dieses besagt, dass für die meisten Menschen ein langer Ton das Ende einer Tonfolge markiert.
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Das US-japanische Forscherteam stellte ihre Studienergebnisse unter dem Titel "Nonlinguistic rhythm perception depends on culture and reflects the rhythms of speech: Evidence from English and Japanese" am 30. November 2006 beim "Fourth Joint Meeting of the Acoustical Society of America (ASA) and the Acoustical Society of Japan (ASJ)" vor.
->   Vortragspapier
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Der "rhythmische Ordnungswahn"
Der Mensch bringt gerne eine rhythmische Ordnung in Folgen von wahrgenommenen akustischen Reizen. Selbst wenn sich die aufeinander folgenden Töne nicht in Intensität, Tonhöhe und Länge unterscheiden, werden diese quasi automatisch "gruppiert".

Das erkannte bereits der Pionier der Rhythmusforschung, Thaddeus L. Bolton vor 120 Jahren und führte damit den Begriff der subjektiven Rhythmisierung (1894) ein. Seine Erkenntnis: Eintönige Klopfgeräusche werden von Menschen vorwiegend in Zweier- oder Vierergruppen eingeteilt. Und so wird beispielsweise auch das Ticken einer Uhr häufig zu einem "Tick-Tack" in der Wahrnehmung des Zuhörers.
Gruppierung von akustischen Reizen
Die Gruppierung spielt bei der Wahrnehmung von Musik wie auch bei der Sprache eine bedeutende Rolle, schreiben die Wissenschaftler um Iversen. Diese folgt dabei Regeln, die die Rhythmenforscher der letzten Jahrzehnte zu einer Art "Universalgesetz" erklärten.

Zwei universelle Prinzipien: Ein lauterer Ton steht meistens für einen Anfang einer im Kopf gebildeten Tonfolge oder -gruppe, ein längerer Ton steht tendenziell für das Ende - in der Musik sowie in der Sprache, berichten die Wissenschaftler.
"Universalgesetzte" in Bezug auf Sprache?
Zwar wurden bei den bisherigen Studien zu den oben genannten Prinzipien auch Personen mit unterschiedlichen Muttersprachen auf ihre Wahrnehmung hin getestet, doch der Sprachraum scheint dabei zu eng gesteckt worden zu sein: Die "Universalgesetze" gelten zwar für Amerikaner, Holländer, Franzosen - Vertreter der "westlichen Kulturen".

Dass es aber global Ausnahmen von der Regel gibt, wollen nun Iversen und seine zwei Kollegen erkannt haben. Sie ließen dabei Muttersprachler aus den USA und Japan Tonfolgen "erhören" und testeten beide Prinzipien auf ihre Gültigkeit: Sie wechselten bei vorgespielten Tonfolgen zum einen die Lautstärke (leise - laut -leise - laut - ...) und zum anderen die Tonlänge (lang - kurz - lang - kurz - ...). Die Zuhörer sollten sagen, welche "Tongruppen" sie heraushörten.
Experiment zu Tonlautstärke und Tonlänge
Japaner wie auch US-Amerikaner hörten im ersten Experiment Zweiergruppen von Tönen heraus - mit einem lauten Ton am Anfang, einem leisen am Ende. Das erste universelle Prinzip konnte damit bestätigt werden.

Doch das zweite Prinzip hinsichtlich der Wahrnehmung von Tonlängen wurde zu Fall gebracht: Während die Amerikaner - wie erwartet - eine Kurz-Lang-Gruppierung als eine Tongruppe wahrnahmen, so erkannten die Japaner hingegen die Lang-Kurz-Tonfolge als eine Gruppe.
Sprachunterschiede
Doch was sind die Ursachen für diese Wahrnehmungsunterschiede? Andere Musikstile der zwei Kulturen können ihn nicht zur genüge erklären, berichten die Wissenschaftler. Die zwei unterschiedlichen Sprachen - Englisch und Japanisch - bieten hingegen einen klareren Ansatzpunkt.

Im Englischen werden etwa "Funktionswörter" wie "the", "a", "to" usw. den bedeutungsvolleren Worten wie Verben oder Substantiven vorangestellt - so quasi zu den bekannten "Kurz-Lang-Kombinationen" gruppiert. Bei den Japanern verhält es sich mit der Wortreihung gerade umgekehrt: Funktionswörter werden Inhaltswörtern hinten an gestellt ("Lang-Kurz-Gruppen"). Und auch bei zweisilbigen Wörtern dominiert im Englischen der Kurz-Lang-Rhythmus (Beispiel: WO-man, PER-son).

Iversen und seine Kollegen baten daher US-Amerikaner und Japaner, die 50 wichtigsten zweisilbigen Wörter ihrer jeweiligen Sprache laut vorzulesen, während die Forscher die "Silbenlängen" maßen. Das Ergebnis: Die durchschnittliche Dauer der Silben gab bei den Amerikanern wieder ein Kurz-Lang-Muster vor - bei den Japanern ein Lang-Kurz-Muster.
Linguistischer Rhythmus gibt den Ton an
Der linguistische Rhythmus spiegelt sich in den Ergebnissen der Wahrnehmungsexperimente wider.

Mit ihrer Arbeit wollen die Wissenschaftler auch darauf hinweisen, dass empirische Untersuchungen zur akustischen Wahrnehmung auch vermehrt andere Sprachkulturen außerhalb des "Westens" einbeziehen sollten. Auf jeden Fall wohl, bevor "universelle Gesetzte" verabschiedet werden.

[science.ORF.at, 4.12.06]
->   Neuroscience Institute in San Diego
->   ASA/ASJ Meeting
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   US-Forscher: Musik ist ein Echo der Muttersprache (8.7.05)
->   Menschliche Sprache formt musikalische Vorlieben (6.1.03)
->   Gehirn verarbeitet Musik und Sprache ähnlich (24.4.01)
 
 
 
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  zlozale | 04.12, 13:05

1. es war schon zur zeit meines linguistikstudiums ein stehender witz, den anglophonen zugang zur sprachanalyse so zu charakterisieren: "take any language of the world, for example english..."
2. gerade was rhythmus anbelangt, ist man hier bei einem der grundlegenden analysemuster, nach denen saeuglinge die sprache ihrer umgebung analysieren und damit den sprachfluss untergliedern lernen: rhythmus und prosodie. dass dies auf die musikwahrnehmung durchschlaegt, ist hoch interessant, aber wenn man es bedenkt nicht unlogisch.
3. gerade im vgl auch zwischen englisch und deutsch kommt auch noch ein andrer rhythmischer qualitaetsunterschied der beiden sprachen zum tragen, stress-timed das englische (dh, betonte silben kommen in annaehernd gleichen zeitabstaenden, und die unbetonten silben dazwischen werden je nach anzahl entweder gedehnt oder verkuerzt), und syllable-timed das deutsche (betonte und unbetonte silben annaehernd gleich lang) waer auch interessant, was das fuer auswirkungen auf die musikwahrnehmung hat zumindest ist es anhand dessen imo kein wunder, dass der rap aus dem englischen kommt: stress-timed ist weit felxibelr, schraenkt nicht so ein, wenns darum geht, text und festen rhythmus zusammenzubringen.
 
 
  leo029 | 04.12, 14:38
zu 2.
Nicht nur Saeuglinge, Foeten auch (wahrscheinlich schon ab dem 3. Monat). Ich frag mich aber eins: wie koennen wir den Umwelteinfluss von Sprache und Musik auf Musikwahrnehmung auseinander halten? In einem spezifischen Kulturraum wird ein Kind / Foetus doch von beiden beeinflusst.
  gstiess | 04.12, 16:03
@leo: ...wird von beidem beeinflusst:
Guter Punkt. Es dürfte schwierig sein, viele Kinder / Menschen zu finden, deren Muttersprache z.B. japanisch ist, die aber in der entsprechenden Kleinkindperiode nur westliche Musik zu hören bekommen haben.
  gehirnaustritt | 04.12, 18:10
zlozale: "grundlegende analysemuster, nach denen saeuglinge die sprache ihrer umgebung analysieren.."
Erinnert an sensortime.com
  zlozale | 05.12, 07:06
@austritt
kann schon sein; nicht alles was sensortime sagt, ist schwachsinn ;)
(obwohl er/sie manchmal zu technisch und zu wenig "biologisch" an die sache herangeht, imo)
  gehirnaustritt | 05.12, 15:42
zlozale
Sind nicht auch chemische und biologische Strukturen "technischer Natur"? Wo genau liegt der Unterschied?
  aasgeier | 05.12, 16:50
Wikipedia zum Stichwort "Technik": "Definition: Technik ist grundsätzlich die Anwendung von besonderen Methoden, Prinzipien bzw. Naturgesetzen, einzeln oder in Kombination, um bestimmte Wirkungen zu erzielen. Beispiel: Einbau eines neuen Eiweiß-Gens in das Genom eines Bakteriums mit gentechnischen Methoden, um anschließend mit biotechnologischen Verfahren mit Hilfe des neuen Bakteriums großtechnisch das gewünschte Eiweiß herzustellen."

Evolutionisten werden sich am "um ...zu" stören, denn dann müsste ja ein Plan bzw. eine Absicht vorliegen.

  zlozale | 05.12, 16:52
der unterschied liegt darin, dass zwar chemie und physik die grundlagen fuer die vorgaenge auch in unsrem hirnkastl bilden, dass aber unsere kognition udn usner bewusstsein derart komplex sind, dass eine rein technische herangehensweise entweder unverstaendlich komplex ist, zu kurz greift oder wohl vielleicht stimmt, aber fuer die praxis keinen wert hat, weil darauf basierend kein funktionierendes handlungskonzept aufbaubar ist.
  gehirnaustritt | 06.12, 08:39
zlozale
Das ist die alte dualistische Denkschule. Hier Geist - da Materie.

Interessanterweise beginnen jetzt gerade die Atheisten(!) in den Dualismus zu flüchten. Ein Zeichen dafür, wie sehr die Welt auf dem Kopf steht.
  leo029 | 04.12, 11:27
gstiess + manliness
bringen beide gute Beispiele wie zentriert wir auf unsere eigene Kultur,bzw Sprache sind. Danke fuer den Uhrenhinweis! Beim lesen hab ich sofort die alte Pendeluhr im Haus der Grosseltern gehoert.
wo-man / per-son waeren in Deutsch tatsaechlich keine guten Beispiele. In Englisch ist die Aussprache allerdings (in etwa): wu-mann / per-sn.
 
 
  gstiess | 04.12, 10:24
Das Tick-Tack der Uhr
entsteht nicht im Kopf des Zuhörers, sondern ist (bei mechanischen Uhren) durch das unterschiedliche Einrasten des Ankers (ich glaube so heißt das Ding) leicht zu erklären. Man braucht sich nur eine große Pendeluhr einmal näher anzuschauen, um die Funktionsweise dieses Taktgebers zu ergründen - dann ist auch die Lautfolge sofort völlig klar. Anders verhält es sich mit monoton klingenden Quarzuhren, bei denen klingt jeder Tick gleich. Seltsam, dass das noch niemand bei der oben zitierten Uralt-Studie kritisiert hat!
 
 
  wolkenstrudel | 04.12, 19:17
das ist Nonsense
Der Verzögerer der Unruh rastet in beiden Endlagen gleich ein ein. Ich denke dass das eher von der Geschwindigkeit abhängt. Ich zB höhre jede regelmäßige Klopfen im etwa Sdkundentakt als Tick-Tack, schnelleres Ticken zB im Halbskundentakt hingegen als Tick -Tick, selbst wenn die Lautstärken unterschiedlich sind.
  leo029 | 05.12, 11:43
strudel: kann nicht sein
bin kein Uhrmacher, aber das kleine Dings, das im Zahnrad einhakt (und das Geraeusch verursacht), kann das nur wenn der Zahn an einer Stelle flacher ist. Reingefuehlsmaessig wuerde ich sagen, dass 'tick' entsteht wenn das 'Ding' an der flachen Stelle des Zahns entlangschleift, und das 'tack' beim einrasten. Lass mich aber gerne aufklaeren.
  aasgeier | 05.12, 16:26
2 Bilder sagen fast schon mehr als Worte...
http://www.watchplan.com/mediac/400_0/media/Hemmung.jpg
http://www.bad-camberg.info/artikel/turmuhr/pic/img_2035.jpg

Die Form der Zähne der kleinen Uhr lässt schon auf unterschiedlichen Klang schließen, bei der großen kann ich nur auf Klangunterschiede wegen der Drehrichtung schließen: einmal wird der Ankerbogen auf Druck und einmal auf Zug belastet.
  aasgeier | 05.12, 16:34
Bin kein Uhrmacher, aber vermutlich entsteht das "Tack" wenn der Zahn des Ankers gegen den dicken Teil des Zahnes am Zahnrad schlägt; beim "Tick" dürfte der schlanke Teil des Zahnes lautgebend sein.
  aasgeier | 05.12, 16:41
Nochmal zum "Tick" und leos "entlangschleifen": leider weiß ich es nicht besser, aber ich tippe eher auf sowas wie einen Zupfeffekt wie bei manchen Saiteninstrumenten.
  leo029 | 05.12, 16:44
-:) gut recherchiert, geier!
Google Bilder?
Wesentlich besser als mein Versuch, meine Vorstellung in Worte zu bringen
  leo029 | 05.12, 16:51
@wolkenstrudel: 1s/halb-sekunden takt
der Grund, warum du im 1s-Takt tick-tack hoerst, ist weil du noch mit mechanischen Uhren aufgewachsen bist (trau ich mir zu wetten). Das ist in deinem Gedaechtnis gespeichert. Signifikant anderer Takt wird von dieser Hoererfahrung nicht beeinflusst. Das bedeutet andererseits, dass jetzige Teenager kein 'tick-tack' hoeren.
  slartibartfast | 06.12, 03:17
objektive analyse
uhrengeraeusch aufnehmen, FFT drueberlassen.
  manlisses | 04.12, 10:11
wo-man und per-son
sollen beispiele für kurz-lang sein? das wirkt intuitiv wenig überzeugend, auch wenn man einräumt, dass dynamische betonung (lautstärke) nicht mit der silbendauer konform gehen muss.
 
 
 
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