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ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 
Epigenetik: Vom molekularen Modell zum Krankenbett  
    Das Erbgut alleine bestimmt nicht das Erscheinungsbild des Organismus. So genannte epigenetische Informationen spielen eine große Rolle bei der Identität von Zellen - und damit auch für die Entwicklung und die Gesundheit des menschlichen Körpers. Man beginnt gerade erst die Regeln dieser Mechanismen zu verstehen. Als ersten Schritt versuchen daher Forscher gegenwärtig, so genannte epigenetische Karten des Erbguts zu erstellen. Der Molekularbiologie Anton Wutz berichtet anlässlich des Diskurstags "GEN-AU 2004" in einem Gastkommentar von den letzten Trends auf diesem jungen Forschungsgebiet.  
Epigenetik: Modewort - oder steckt mehr dahinter?
 
 
Von Anton Wutz

Die Sequenzierung des menschlichen Genoms ist zweifelsfrei eine der größten wissenschaftlichen Errungenschaften der letzten Jahre. Der nächste Meilenstein ist nun das Verständnis der erblichen Genaktivitätsmuster.

Unter dem Begriff "Epigenetik" definiert sich seit einiger Zeit ein Forschungsfeld, das auf das Verständnis der Prozesse, die die Genexpressionsprofile in Zellen regulieren, abzielt. Jede Zelle des menschlichen Körpers hat die gleiche Erbinformation, dennoch besteht der Körper aus verschiedenen Organen, die jeweils aus ca. 200 verschiedenen Zelltypen aufgebaut sind.

Diese verschiedenen Zelltypen leiten sich von einer einzigen befruchteten Eizelle ab und entstehen durch das An- und Ausschalten verschiedener Gene während der Zelldifferenzierung. An der DNA arbeiten Enzyme und Proteine, die die Genaktivität steuern.
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Diskurstag "Genomforschung und Medizin"
Am 17. Juni findet in der Stadthalle Graz der "Diskurstag GEN-AU 2004" statt. Die Veranstaltung widmet sich dem Themenfeld "Genomforschung und Medizin" - ausgehend von der Frage "Was habe ICH davon?".
->   Mehr dazu (Meldung vom 11.6.03)
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Trotz Forschungserfolge wenig Anwendungen
 
 
In jüngster Vergangenheit hat die Molekularbiologie eine wahre Revolution in der Epigenetik ausgelöst. Die Wissen um Enzyme, die die epigenetische Regulation der Gene steuern, hat auch zur Entwicklung einiger pharmakologisch aktiven Substanzen geführt.

Erste klinische Studien über den Einsatz solcher Therapeutika versprechen neue Möglichkeiten in der Krebstherapie. Andere potenzielle Anwendungsgebiete sind bei Stammzellenbiologie und Alterungsprozessen denkbar.

In der Tat sind derzeit kaum Therapeutika für die Behandlung verfügbar, die in epigenetische Mechanismen eingreifen. Überraschend, wie man meinen möchte, wenn man all die jüngsten Erfolge betrachtet.
Epigenetsiche Regeln noch unverstanden
 
 
Nun ist die epigenetische Regulation allerdings ein sehr komplexer Prozess und die Wissenschaft steht erst am Beginn, diese Regeln und Grundlagen zu verstehen. Derzeit sind verschiedene nationale und internationale Initiativen darauf ausgerichtet, epigenetische Karten zu erstellen.

Diese Projekte sind durch die Verfügbarkeit der Sequenz des Genoms möglich geworden und versprechen in naher Zukunft ein wesentlich erweitertes Verständnis von epigenetischen Prozessen, etwa bei Zelldifferenzierung und während Krankheitsverläufen.
Von der statischen zur dynamischen Information
 
 
Zum Unterschied zur Sequenz des Genoms, die quasi statisch in jeder Zelle gleich ist, ist die epigenetische Information nämlich variabel. So unterscheidet sich jeder Zelltyp in seinem "Epigenom", zusätzlich sind epigenetische Signale von sehr unterschiedlicher molekularer Natur.

Dies bedingt, dass epigenetische Karten mehrdimensionalen Charakter haben und nur mit hohem Aufwand erstellt werden können.
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Zelldifferenzierung: Die Wellenreiter-Metapher
Die Zelldifferenzierung lässt sich mit dem Wellenreiten vergleichen. Bei Bedarf wird eine Stammzelle aktiv und springt auf eine Welle in Richtung Küste auf. Zuerst ist der Weg dorthin völlig offen, doch je näher die Küste kommt, desto geringer sind die Wahlmöglichkeiten, wo die Welle abgeritten wird. Mit der zurückgelegten Wegstrecke in der Differenzierung wird die Zellidentität also immer weiter festgelegt. Am Trockenen angelangt ist dann der Landepunkt und damit der Zelltyp bestimmt.
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Wirksubstanzen regulieren "Wellenhöhe"
 
 
Wenn man bei diesem Bild bleibt, könnte man sagen, dass die Substanzen, die momentan in klinischen Studien getestet werden, eher die Höhe der Welle regulieren als den Weg zum Strand steuern - also zwischen Sturm und Flaute hin- und herschalten.

Der therapeutische Erfolg einiger dieser Substanzen lässt sich also damit erklären, dass in normalen Zellen verschiedene Mechanismen zusammenwirken, um die Zellidentität zu erhalten. In Krebszellen hingegen ist diese Information nicht gegeben.

Durch die Ausschaltung eines epigenetischen Prozesses werden die Krebszellen daher aus dem Gleichgewicht gebracht und schließlich zum Absterben gezwungen.
Hoher methodischer und finanzieller Aufwand
 
 
Welchen Prozess es in welchem Tumor abzuschalten gilt, muss durch entsprechende Diagnostik vorweg bestimmt werden. Dies ist von Bedeutung, da mit dem Auftreten von Resistenz verschiedene Behandlungswege erforderlich geworden sind.

Der erfolgreiche Transfer von wissenschaftlichen Modellen zur klinischen Anwendung wird sehr davon abhängen, inwieweit klinischen Zentren die Molekularbiologie in die Diagnostik mit einbeziehen können.

In der Epigenetik sind sehr verschiedene Mechanismen zusammengefasst. Dadurch steigt der methodische Aufwand und die damit verbundenen Kosten. Eine umfassende Diagnostik und ein entsprechendes Therapieangebot wird somit nur in großen Zentren effizient angeboten werden können.
Zusammenarbeit von Klinik und Forschungsstätten nötig
 
 
Müssen sich daher auch die Kliniken großräumig umstrukturieren und damit letztendlich dem Trend in der Forschung folgen: Von Generalisten zum Spezialisten? Was würde eine solche Entwicklung für den Patienten bedeuten?

Eines scheint immer klarer zu werden: Die aus dem Bereich der epigenetischen Forschung stammenden Therapeutika werden die Behandlungsmöglichkeiten in naher Zukunft in noch nicht abschätzbaren Ausmaß verbessern.

Aber um diese optimal nutzen zu können, müssen Klinik und Forschungsstätten enger als bisher zusammenarbeiten.
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Über den Autor
Anton Wutz leitet am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien eine Arbeitsgruppe, die an der Genregulation des X-Chromosoms forscht.
->   Website von A. Wutz (IMP)
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Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Epigenetik: Erbkrankheiten "ohne" Gene? (18.2.03)

 
 

 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 
  sensortimecom | 15.06, 17:17
Um die Forschung auf diesem Gebiet voran zu bringen..
.. muss man eher was von Regeltechnik, Kybernetik, Sensortechnik, Signalverarbeitung und Informatik verstehen, als von Gentechnik und Molekularbiologie. Das heißt im Klartext: Erfordernis von NEUEN wissenschaftlichen Richtungen wie: Bio-Informatik, Bio-Sensorik und Bio-Kybernetik.

Vernachlässigt man das, wird man entweder auf der Stelle treten oder man kommt gegenüber den in den USA und anderen Industrieländern gewonnenen Erkenntnissen arg ins Hintertreffen.
(Abgesehen davon sind eh schon alle Forschungsnischen mit Patenten zugepflastert).

Die Frage "Von Generalisten zum Spezialisten?" stellt sich nicht, sondern eher das Gegenteil.

mfg Erich B.
 
 
 
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