Patententeignung
Die
juristische Deckung für stille Enteignungen gab und gibt es in vielen Staaten
tatsächlich: man betrachte als "Musterbeispiel" den unseligen §29
des österreichischen Patentgesetzes. Hier in vollem (unglaublichem) Wortlaut:
§29.
(1) Fordert es das Interesse der bewaffneten Macht oder der öffentlichen
Wohlfahrt oder sonst ein zwingendes Bundesinteresse, dass eine Erfindung, für
welche ein Patent angemeldet oder bereits erteilt worden ist, ganz oder
teilweise von der Bundesverwaltung selbst benützt oder der allgemeinen Benützung
überlassen wird, so ist die Bundesverwaltung berechtigt, dieses Patent oder das
Recht zur Benützung der Erfindung auf Grund des vom zuständigen
Landeshauptmann geschöpften Erkenntnisses gegen angemessene Entschädigung ganz
oder teilweise zu enteignen und die Erfindung auf Grund des
Enteignungserkenntnisses in Benützung zu nehmen oder der allgemeinen Benützung
zu überlassen. Zuständig ist der Landeshauptmann des Landes, in dem der
Anmelder oder der Patentinhaber seinen Wohnsitz hat. Kommen mehrere Länder in
Betracht, so steht der Stelle, welche die Enteignung beantragt hat, die Wahl
frei.
(2)
Bei Gefahr im Verzug kann die Bundesverwaltung nach vorläufiger Bewilligung des
zuständigen Landeshauptmanns bereits auf Grund des eingebrachten
Enteignungsgesuches, jedoch vorbehaltlich des nachfolgenden
Enteignungserkenntnisses, die Erfindung sofort in Benützung nehmen oder der
allgemeinen Benützung überlassen.
(3)
Außer dem Patentinhaber gebührt auch jenen Personen, welchen die Benützung
der Erfindung bereits rechtlich zustand, falls sie dieser nunmehr verlustig
werden, eine angemessene Entschädigung durch den Bund.
(4)
Hinsichtlich des Maßes der Entschädigung ist auf das Zustandekommen einer
Vereinbarung mit dem Anmelder oder Patentinhaber und mit den etwaigen Benützungsberechtigten
hinzuwirken; kommt eine solche nicht zustande, so steht die Entscheidung über
die eingebrachte Entschädigungsklage den Gerichten, erforderlichenfalls nach
Einvernehmung von Sachverständigen, zu. Der Patentinhaber hat das Recht, einen
Sachverständigen zu wählen. Beim Ausmaß der Entschädigung ist in allen Fällen
bloß auf jene Wirkung Rücksicht zu nehmen, welche die Enteignung des Patentes
für das Inland zur Folge hat.
(5)
Die Verhandlung über das Maß der Entschädigung hat für die Ausübung der
Befugnisse, welche die Bundesverwaltung in Ansehung der Erfüllung für sich
oder für die Bevölkerung in Anspruch nimmt, keine hemmende Wirkung.
(6)
Von einer solchen Inanspruchnahme des Patentes sind die im Patentregister
eingetragenen Interessenten durch das Patentamt sofort zu verständigen.
Dieser Enteignungsparagraph ist für jeden halbwegs vernünftigen
Menschen mit gesundem Rechtsempfinden ein Schlag ins Gesicht ! Dieser
unglaubliche Gesetzestext hat es erlaubt, Erfindern ihre Rechte gegebenenfalls
ohne Wissen und Zustimmung bei Nacht und Nebel zu enteignen - denn es
steht nirgendwo, dass der Patentinhaber oder Anmelder von der
"Inanspruchnahme" persönlich in Kenntnis zu setzen ist! Es ist in
Punkt (6) nur von "Interessenten" die Rede, die im
"Patentregister eingetragen" sind. (Dabei ist nicht einmal klar, ob überhaupt
das Patentregister des enteigneten Patentinhabers gemeint ist. Bekanntlich
beginnt das Patentregister erst mit der Patenterteilung (s. §80). Solange sich
eine Patentanmeldung im Prüfungsstadium befindet, kann auch kein
"eingetragener Interessent" existieren). Wie schaute ein Vollzug
dieses Enteignungsgesetzes in der Praxis aus? Hier ist die Antwort: Vom
§29 konnten immer nur solche Leute betroffen sein, die besonders wichtige
Patentanmeldungen auf Erfindungen beantragt hatten, d.h. wo sich die
technologische Bedeutsamkeit des Patentanspruchs bereits im Vorprüfungs- Stadium
oder weit innerhalb der möglichen Laufzeit des Patents abzuzeichnen begann, und
- was das doppelt Schlimme daran ist: es musste sich um eine Basistechnologie,
um ein sog. "core"- Patent handeln (das nicht zu umgehen oder zu
verbessern ist) - denn wäre der Patentanspruch verbesserbar, müsste das Patent
ja auch nicht enteignet werden! Ein Interesse der "öffentlichen
Wohlfahrt" oder ein "zwingendes Bundesinteresse" zu konstruieren,
war sicher kein Problem. Der Staat schuf sich mit diesem Paragraphen
jahrzehntelang eine Hintertüre, mit dem er jede Schandtat gegenüber einem
Einzelerfinder, dessen wichtige Patentanmeldung einer
Forschungsinitiative, den Interessen eines staatsnahen Konzerns oder einem
Projekt im Auftrag der Regierung (sei es ein militärisches oder ziviles Projekt)
rechtfertigen konnte! (Waren in der
Anmeldung mehrere Erfinder genannt, oder trat eine Firma als Anmelder auf, so
tat er sich schwerer!). Ein Erfinder, der etwas wirklich Substantielles und
Wichtiges erfunden hatte - nicht etwa Sonnenbrillen für Hunde u.dgl.- hatte also
gefälligst das Maul zu halten, ansonsten lief er ständig Gefahr, auf
schlaue Art enteignet (besser gesagt: beraubt) zu werden... Was geschah mit
einem solchen "enteigneten Patentinhaber", der meist davon gar nichts
wusste? Es geht aus dem Gedanken des Gesetzes ganz deutlich hervor, dass der
Erfinder von dem Moment an, wo die Enteignung "auf Grund des vom zuständigen
Landeshauptmanns geschöpften Erkenntnisses" stattgefunden hat, vom Patentinhaber
zum Patentverletzer wird, und dass er, falls er weitermacht, vom Enteigner
bestenfalls als Außenseiter und Querulant geduldet wird. Allenfalls darf er in
irgendeinem Hinterhof ohne Gewerbeschein weiterbasteln. Das Heimtückischeste an
dem Gesetzestext des §29 ist aber, dass er Gestaltungsmöglichkeiten offen lässt,
die niemandem, ja nicht einmal Fachleuten, auffallen. Z.B.: Es wird
einem Erfinder nahegelegt, die Anmeldung zurückzunehmen, weil "eh keine
Aussicht auf Erfolg (Patenterteilung) bestünde" - in Wahrheit handelt es
sich um eine „Enteignung"... Oder: Ein noch nicht erteiltes Patent wird
über einen Mittelsmann (vielleicht über einen Patentanwalt) um eine Bagatelle
„verkauft“. Oder: Es findet eine Art Schein- Patentverkauf statt, ohne dass eine
beim Patentamt eingetragene Übertragung der Rechte stattfindet. Der Erfinder
ist über ein paartausend DM glücklich und kümmert sich nie wieder um sein
Patent, das er vermeintlicher Weise „verkauft“ hat. Wieder handelte es sich
in Wahrheit um eine „Enteignung“ von der nur der neue "Benützer der
Erfindung", wie es im §29 so schön heißt, weiß... Oder: einem Erfinder
wird nahegelegt, auf sein Patent zu verzichten, d.h. nach erfolgter
Patenterteilung beim Patentamt eine Verzichtserklärung abzugeben. Als
„Honorar" darf er sich von jetzt an offiziell „Erfinder“ nennen.
Vielleicht wird er sogar von Medien erwähnt. Verweigert er diese Verzichtserklärung
(es genügt auch, wenn er den Wink, den ihm sein Patentanwalt oder Agent gibt,
nicht als solchen erkennt oder ihn ignoriert), so bleibt er zur Strafe
"unglaubwürdig". In der Praxis heißt das: die Behörde, Kammer oder
sonstige Stelle bekommt einen Hinweis, dass dieser oder jener Erfinder „nicht
ernst zu nehmen sei", gibt diese Information als Auskunft an anfragende
Personen oder Behörden weiter, und der Erfinder hat kaum jemals eine Chance,
ernst genommen zu werden. Wie hätte sich der Erfinder auch wehren können? Erklären
Sie mal einem Rechtsanwalt, Journalisten oder Beamten, dass Sie eine optisch
lesbare Speicherplatte erfunden haben, zu einem Zeitpunkt, wo es diese CD-ROM
(die wir jetzt als solche kennen, die aber der Erfinder in seiner Patentschrift
vielleicht noch anders benannte) noch gar nicht auf dem Markt gab? Wie hätte
Sie ihr Gesprächspartner, der kein Patentexperte ist, denn ernst nehmen können?
Natürlich wirkte ein solches „Hinweis" auch weiter, wenn sich der
Erfinder um Gewerbeausübung, Mitgliedschaft in Kammern, Gewerblichen
Versicherungen usw. bemühte, von öffentlichen Fördergelder für Forschung und
Entwicklung gar nicht zu reden... Das besonders Infame an dieser Vorgangsweise:
jedwede Hinterfragung oder Recherche war aussichtslos....Dieses System hatte
sich in Jahrzehnten gerade gegenüber „intelligenten" Einzelerfindern
bestens bewährt, die wichtige Patente anmeldeten oder hielten. Gerade um solche
Leute auszubooten und um sich vor deren Intelligenz zu schützen, wurden diese
raffinierten Methoden ersonnen. Und wäre es tatsächlich jemandem gelungen, den
Beweis zu erbringen, dass er „enteignet“ worden sei - so gab es zu diesem
Zweck ja noch immer den besagten §29, den man ihm oder seinem Anwalt hätte
entgegenhalten können... Das System hat derart reibungslos funktioniert, dass
es nicht einmal manchen Patentanwälten zum Bewusstsein gekommen ist, dass das,
was sie mit Erfindern immer und jeher getan haben, in Wirklichkeit Teil einer
Enteignungs- Prozedur ist, die gar nicht zur angestrebten Patentkultur im Sinne
des Gesetzgebers passt, wie man sich das ursprünglich vorgestellt hatte. Da es
in der Praxis kaum jemals zu einer Enteignungs-Eintragung im Patentregister
gekommen ist (obwohl diese im §29 vorgesehen ist!) gibt es daher auch keine Möglichkeit,
nachzuprüfen, wie oft es in der Vergangenheit zur Anwendung des §29 gekommen
ist. Gott allein weiß, wie und wie oft von diesem Paragraphen Gebrauch
gemacht wurde, und wie viele Erfinder auf heimtückische Weise
"enteignet" worden sind. Sind es Dutzende, Hunderte, oder gar
Tausende? Und bestehen oder bestanden solche Gesetze nicht weltweit? Selbstverständlich!